Presseartikel 2009

Meine Zuckertüte war mal 'ne BILD

Immer mehr Dresdner Eltern basteln selbst!

Es ist DER Tag für unsere Kleinen: Am Samstag ist Schuleinführung. Nicht fehlen darf natürlich die Zuckertüte. Groß, bunt und richtig voll sollte sie sein.
Aktuell
Während es in den Geschäften viele Modelle zu kaufen gibt, stellen wir Ihnen heute den neuesten Trend vor – Zuckertüte zum Selberbasteln!
Großer Vorteil: Sie wird ein Unikat und Zeitzeuge. Denn wir zeigen, wie Sie aus Tageszeitungen eine wunderschöne Zuckertüte basteln können. Auch Jahre später verrät sie dann noch, was zur Schuleinführung in aller Munde war.
Bastelexpertin Mariann Czech (19) vom Dresdner Bastelgeschäft "Das creative Hobby" (St. Petersburger Str. 12): "Schon für Gruppen ab drei Personen bieten wir individuelle Bastelkurse an, u.a. auch für Zuckertüten."
BILD zeigt Ihnen wie es geht.

05.08.2009 — www.bild.de

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Man muss besser sein als andere
Von Karin Großmann

Für Menschen, die gern fädeln und falten, sind die Bastelläden von Manuela Schwenke ein traumhaftes, üppig-buntes Paradies.

Unter einer Kreuzbogendecke im hinteren Teil des Ladens sitzen sieben Frauen an einem breiten Tisch und rupfen Papier. Weiße, hellblaue und rote Bögen zerlegen sie in handliche Schnipsel. Es dauert. Sie tun das freiwillig. Strohseide heißt das Papier. "Erst kommt das Handwerk, dann die Kunst", sagt Manuela Schwenke mit freundlicher Strenge. Die 44-Jährige mit dem dichten schwarzen Haar spricht geradeaus, ohne Schnörkel. In der irritierend flirrenden Buntheit ihres Ladens wirkt sie beruhigend selbstverständlich.

Mit schnellen Handgriffen sortiert sie das Papier auf dem Arbeitstisch. Es soll auf Acrylkugeln geklebt werden. Im Schaufenster beleuchten solche Kugeln den späten Nachmittag. Vom Weihnachtsmarkt tönt melodisches Bimmeln. Es klingt in Pirna schöner als anderswo. Vielleicht liegt das am Glanz der Altstadt, am Glühweinrezept oder am Glücksgriff der Budenschmücker.

Sie scheinen hier ein besonderes Händchen fürs Schmücken zu haben. Kein Wunder, dass Manuela Schwenke in Pirna ihr erstes Hobby-Geschäft eröffnete, 1993. Da war sie noch keine dreißig und ihr alter Job abgeschafft. Sie hatte eine Weiterbildung hinter sich und immer noch Lust am Fädeln und Falten. Was sie dafür brauchte, fand sie nicht in der Nähe. "Ich wurde Ladenbesitzerin aus Notwendigkeit", sagt sie mit ironischem Lächeln. Ihr Hauptberuf ist das nicht. Mit unerhörter Energie hat sie eine kleine, feine Ladenkette gebastelt, mit weiteren Geschäften in Dresden und Erfurt. Die fünfte Filiale eröffnete vor wenigen Wochen am Kornmarktcenter in Bautzen. Das ehemalige Kinderkaufhaus hatte viele Jahre lang leer gestanden. Der Anstoß war von Kunden gekommen, sagt Manuela Schwenke. Ihr Erfolgsrezept könnte aus dem Handbuch für Manager stammen: "Man muss besser sein als andere."

Fein fusslig und fest zugleich

Das Bessersein fängt schon mit der Auswahl des Papiers an, lernen die Frauen am Holztisch. Zwischen Hellweiß und Weiß liegen Welten. "Wirkt das Grün nicht zu grob dazu?", fragt die Chefin. "Sonst sieht die Lampe wie'n Tarnanzug aus." Das wird man nicht wollen. So ein schönes Material. Strohseide enthält Fasern vom Maulbeerbaum. Wie auch immer sie da hineingeraten sein mögen: Es wirkt attraktiv. Fein fusslig und fest zugleich. Das Papier gibt es in vielen Farben. Überflüssige Feststellung. Es gibt hier alles in vielen Farben. Perlen aus Holz und Glas, Bänder aus Samt und Seide, Draht aus Messing und Silber, Stifte aus Wachs und Kreide. Dazu das passende Werkzeug. Leimpistolen und Laubsägeblätter. Pinsel in jeder Breite. Spanschachteln in jeder Größe. Malfarben in Tuben und Gläschen. Eine Plastewanne voll Speckstein. Ein Dutzend Sorten Patentnadeln. Vor manchen Arbeitsbögen steht der bastelfreie Normalsterbliche ratlos wie vorm Rätsel der Sphinx. Was bitte soll das werden? Und wie geht das?

Zu neunzig Prozent, sagt Manuela Schwenke, hat sie alles selbst ausprobiert. "Die Kunden müssen sich darauf verlassen können, dass es funktioniert, was sie kaufen." Manchmal erfindet sie eigene Muster, eigene Techniken, schreibt Bastelanleitungen. Es liegt in der Familie. Die Mutter zu Hause in Dohna besserte die Haushaltskasse mit Handarbeit auf. Der Vater war Heimwerker im Zweitberuf wie viele DDR-Menschen. "Früher war es häufig der Mangel, der zum Selbermachen reizte", sagt Manuela Schwenke. "Heute ist es der Überfluss genormter Massenware."

Nein, es ist kein Zitat aus einem Loriot-Sketch, wenn eine der Frauen sagt: "Dann hab ich was Eigenes." Es ist das Vergnügen am Unverwechselbaren, am Individuellen, am Einzelstück. Die Frauen haben den Leuchtkugelkurs bei der Volkshochschule in Pirna gebucht. Auch in Dresden veranstaltet Manuela Schwenke solche Kurse. Viele freie Abende bleiben ihr nicht. Es sind oft Wiederholungstäter dabei. Wissend reden sie über Serviettentechnik und Bouillondraht, als würden sie ihr Leben damit verbringen.

Die Frauen am Tisch haben ganz normale Berufe. Eine arbeitet in der Medizin, eine im Büro, eine im Kindergarten. Die Jüngste ist knapp über zwanzig, die Älteste Mitte fünfzig. Strohseidereißen verbindet Generationen. Könnte ein Werbespruch für den Kurs sein. Die Schnipselhäufchen wachsen. Dass jetzt bloß kein Wind kommt. Seit den Herdfeuern der Urzeit sind es vor allem Frauen, die mit geschickten Fingern und viel Geduld etwas Nützlich-Schönes hervorbringen. "Das creative Hobby" heißt die Ladenkette. Ist Mammutjagen kreativ?

"Es kommen schon auch Männer zu uns", sagt Margit Hentges, die in Pirna die Filiale leitet, "meistens, wenn sie der Freundin was Besonderes schenken wollen." Während hinten im Laden der Kurs läuft, geht vorn der Verkauf weiter. Margit Hentges erklärt einer Kundin die Verwendung von Soft-Ton, hilft einer anderen bei der Auswahl von Holzsternchen – zuverlässige, unaufdringliche Beratung macht den Charme dieser Läden aus. Manuela Schwenke beschäftigt 15 Mitarbeiter und drei Lehrlinge. Talent zum Tüfteln vorausgesetzt.

Fröbel würde sich freuen

Zwei Halbwüchsige stehen unschlüssig vorm Regal mit Stern-Arbeitsbögen. "Damit fangt ihr am besten erst an, wenn ihr den Fröbelstern im Schlaf könnt", rät Margit Hentges. Es scheint Menschen zu geben, die Sternstreifen schlafend falten. Friedrich Fröbel würde das freuen.

Eine junge Frau mit auffällig hübschen Ohrringen packt Perlen, Filz und Silberdraht neben die Kasse. Um Weihnachtsgeschenke muss sie sich nun nicht mehr sorgen. Eine Grauhaarige mit Pelzjacke trägt einen Styropor-Ring im Korb, legt Kerzenhalter und Angelschnur daneben und sucht im Floristikfach Zutaten für den Adventskranz. Das wird aber auch Zeit. Eine Mutter hält ihrem Töchterchen, das süchtig nach den Perlentüten greift, streng eine Grundsatzrede: Man überlegt genau, was man basteln will, bevor man in den Laden geht! Es soll Männer geben, die der werten Gattin mit Blick auf die Haushaltskasse den Besuch beim "Creativen Hobby" streng limitieren. Trotzdem: In der Vorweihnachtszeit macht Manuela Schwenke natürlich den meisten Umsatz.

Am Anfang hat sie Acrylkugeln unterschiedlicher Größe auf den Arbeitstisch gelegt. Man könnte zwei kleine und eine große kombinieren oder eine riesige allein ins Fenster hängen… Die Frauen reden halb mit sich und halb miteinander, erregt steigt die Stimmungskurve nach oben, die Chefin beobachtet und hört zu. Ihr Rat kommt fast immer als Frage. Und wenn Sie die Kugel auf einen Teller legen, mit Zweigen drumrum?

Manuela Schwenke hat pädagogisches Geschick. Kein Zufall. Nach der Lehre als Feinmechanikerin studierte sie Mathe und Informatik und arbeitete als Lehrerin im Hochschuldienst. Man lernt nie was umsonst. Sie greift zum Seitenschneider und verpasst den Kugeln mit energischem Griff eine kleine Öffnung. In jede kommt eine Lichterkette. Während sie mit den Lämpchen hantiert, erklärt sie, wie's weitergeht. "Der Weg ist interessant", sagt sie, "aber das Ziel ist es auch." Von oben nach unten werden die Strohseidenstücke aufgeklebt. Klingt einfach. Das erste Papier pappt auf der Kugel. Das zweite fügt sich nahtlos darüber, das dritte. Dann verrutscht die Acrylkuller. Der Pinselgriff klebt. Leim tropft. Etwas Strohseide hängt am Unterarm fest. Wirst du wohl … Im Raum ist es jetzt totenstill. Jede kämpft mit sich allein. Warm ist es geworden. Die Chefin lässt den Pinsel zwischen Kugel und Leimtopf tanzen. Wieso kann sie das derart schnell, und warum geht das bei einem selbst so langsam? "Wir hören erst auf, wenn wir fertig sind", sagt Manuela Schwenke. Das tröstet. "Manche Gruppe saß schon bis Mitternacht." Das tröstet nicht.

Ihr Schreibtisch steht in der TU

Wenn die Geschäftsfrau spät nach Hause kommt, muss sie nicht wortreich um Verständnis werben. Die Familie hat das Ganze mit aufgebaut, doppelt – denn den ersten Laden in Pirna schwemmte die Jahrhundertflut weg. "Danach hab ich erst mal gemerkt, wie wichtig die Lage eines Geschäftes ist", sagt Manuela Schwenke. Ihre Tochter Tizia, die inzwischen studiert, saß schon als Kind in den Kursen. Rainer Gabriel, der Lebensgefährte, kümmert sich um die Buchhalterei und leitet die Filiale an der Sankt Petersburger Straße in Dresden. In den ersten Jahren brauchte sich die Familie über Urlaubsziele keine Gedanken zu machen. "Wir haben immer sonntags Urlaub", sagt Rainer Gabriel spöttisch. Sind sie doch mal unterwegs, gehören Hobbyläden unbedingt zum Programm. Messen sowieso. "Wir wollen immer was Neues, Besonderes bieten."

Meistens kommt Manuela Schwenke erst nachmittags gegen fünf zur Arbeit. Sie kommt dann von Arbeit. Ihr Schreibtisch steht in der Fakultät für Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaften an der TU Dresden. Die Dekanatsrätin ist zuständig für Verwaltung. Den Job hat sie in all den Jahren nicht aufgegeben, trotz doppelter Belastung. "Sonst hätten wir die Läden nicht finanzieren können, wir hatten kein Erbe", sagt sie. Und nach kurzem Nachdenken: "Vielleicht kämpfen Ossis härter."

Allemal. Nach drei Stunden sind die Strohseidenschnipsel verarbeitet. Ein wenig Schmuck vielleicht noch? Manuela Schwenke kennt das Gestaltergesetz: Weniger ist mehr. Die kupferfarbigen Sterne sind selbstklebend. Sie kleben überall, bloß nicht dort, wo sie sollen. Einer ist unter den Fingernagel gerutscht. Am Ende liegen zwölf leuchtende Kugeln auf dem Tisch. Das macht sehr zufrieden. Das macht sogar stolz. "Erfolghaben macht glücklich", sagt Manuela Schwenke, "nicht bloß das Geld."

Montag, 7. Dezember 2009
(Sächsische Zeitung)